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Berührt auf allen Ebenen: Gerda Zölle

Gerda Zölle, Leiterin der Fachberatung Pflegeberufe bei der WALA, im Gespräch mit unserer Autorin Ulrika Bohnet.

An einem Regentag im Mai treffe ich im WALA Kosmetikhaus Gerda Zölle, die in der WALA die Fachberatung Pflegeberufe aufgebaut hat und seit über 40 Jahren Menschen in besonderen Lebenssituationen begleitet. Ihren reichen Erfahrungsschatz teilt die Expertin für anthroposophische Pflege (IFAN) in Vorträgen und Publikationen bzw. als Lehrerin für Pflegeberufe. Während draußen vor den Fenstern die Hügel der Alb grün und regenfeucht leuchten, bin ich aufgeregt und neugierig zugleich: Ich werde nämlich eine äußere Anwendung am eigenen Leib erfahren dürfen. Und da mich der Wiedereinstieg in meine Arbeit nach der Babypause und die Organisation des Alltags gerade oft anstrengen, bin ich offen für Inspirationen zum Thema Zuwendung – zu anderen und zu mir selbst.

Gesundheit – ein Zustand des individuellen Gleichgewichts

Gelesen habe ich, dass der Ursprung des Wortes „Pflege“ bedeutet „für etwas einstehen, sich für etwas einsetzen“. Kaum hat Zölle den Raum betreten, muss ich daran denken – ihre freundliche Präsenz ist voller Wachheit, Wahrnehmung und Tatkraft für das, was ansteht. Sie heißt mich und all meine Fragen so warm willkommen, dass ich alle Scheu ablege und wir sofort in ein tiefes Gespräch eintauchen.

„Jeder ist individuell. Ich bin immer am Krankheits- und am Gesundheitsprozess beteiligt. Gesundheit ist ein Zustand des individuellen Gleichgewichts. Krankheit dagegen ist eine Einseitigkeit.“

Ich muss mich selber pflegen

Diesem Zuviel oder Zuwenig auf die Spur zu kommen, erläutert Zölle mir als spannenden Prozess, an dem jeder Mensch teilhaben kann in seiner ganz individuellen Lebenssituation. Dabei fällt mir auf, wie gut sie reale Gegebenheiten einbezieht – ob den Alltag in einem Krankenhaus, auf der Palliativstation oder in unserem digital bestimmten Arbeitsleben, in dem oft zu wenig übrigbleibt: an wirklicher Begegnung und Zuwendung – für andere und für uns selbst.

„Wenn wir nicht pflegerisch auf uns selbst gucken, können wir auch nicht pflegen. Das gilt es zu erkennen in der fachlichen Pflege und in der privaten Pflege.“

Durch Selbstwahrnehmung zur Selbstwertschätzung

Durch Selbstwahrnehmung zur Selbstwertschätzung – nach Zölle grundlegend, aber auch harte Arbeit: So viel einfacher erscheint es ja, sich bei einem spürbaren Ungleichgewicht mit einer Tablette wieder zum Funktionieren zu bringen. Aber der Körper ist wie das Leben selbst ein Geschenk, keine Maschine.

„Selbstwahrnehmung ist nicht egoistisch, sondern dadurch steht man wieder für den anderen, das Gegenüber, das Du zur Verfügung.“

Für diesen Schulungsweg ist es ganz wesentlich, einmal am Tag innezuhalten und sich zu fragen: Was habe ich heute erlebt, wie geht es mir, wie fühle ich mich? Wer bin ich? Was brauche ich? Die Wiederholung dieser Tagesrückschau rhythmisiert. Und Rhythmus trägt, stärkt und aktiviert die Selbstheilungskräfte.

„Takt ist herzlos. Rhythmus ist mit Seele gefüllt. Rhythmus hilft mir, im Gesunden zu bleiben. Rhythmus ist das A und O der Heilung.“

Hand- und Fußbäder sind kleine Kuren für zu Hause: sie können viele Alltagsbeschwerden lindern oder Krankheiten vorbeugen.

Wir sind Wärmemenschen

Zölle nennt den Menschen einen Wärmemenschen. Und erinnert daran, wie unerlässlich menschliche Berührung und Begegnung sind für die Wärme, die ganz essenziell zum lebendigen Menschen gehört: zum physischen Leib, zum Seelischen und zum Geistigen. Und unsere Hände als Berührungswerkzeuge haben wir immer dabei.

„Wir sind in der Wärme. Mit Wärme werden wir gezeugt, mit Wärme werden wir geboren und mit Wärme wachsen wir auf.“

Äußere Anwendungen: ein Geschenk an den kranken Körper

Ein wirksames Heilmittel, das neben Wärme- und Berührungsqualitäten außerdem bestimmte Wirksubstanzen nutzt, sind äußere Anwendungen. Zölle nennt diese „ein Geschenk an den kranken Körper, ein therapeutisches Angebot, um eine Schieflage wieder in Ausgewogenheit zu bringen“. Äußere Anwendungen können begleitend zur Schulmedizin auf der physischen und auf der seelischen Ebene Einsatz finden, wirken von außen nach innen und gehören zu den ältesten Naturheilverfahren, die Menschen in Heilprozessen genutzt haben. Neben Wickeln, Auflagen, rhythmischen Einreibungen und therapeutischen Waschungen gehören auch Hand- und Fußbäder dazu.

Zu Letzterem lädt mich Zölle nun ein, nachdem ich ihr von meinem erschöpften, ausgekühlten Körpergefühl und Kopfschmerzen berichtet habe. Als Wirksubstanz suche ich mir instinktiv Rose aus – die „Königin der Blumen“ bringt Leichtigkeit, umhüllt und unterstützt bei allgemeiner Schwäche und Rekonvaleszenz. Zölle mischt einen Esslöffel des Öles mit zwei Esslöffeln Milch und gibt diese Emulsion in das 37 Grad warme Wasser, das idealerweise bis zur Wadenmitte reichen sollte. Ein großes, über die Knie gelegtes Handtuch fängt dabei die aufsteigende Wärme ein, und ich fühle mich schon bald wohlig umhüllt. Zu meinem Erstaunen weicht auch mein Dauerkopfweh – und Zölle klärt mich auf, dass nach dem anthroposophischen Menschenbild die Füße durchaus mit dem Kopf interagieren.

„Das Baden der Füße beeinflusst immer den Stoffwechsel des gesamten Körpers; außerdem ist die Haut der Fußsohlen besonders aufnahmebereit für heilende Pflanzenwirkstoffe.“

Essenziell sei auch die Nachruhezeit von 20 Minuten, damit der Körper das durch die Anwendung eröffnete „Gespräch“ verarbeiten kann. Tatsächlich fühle ich mich auch innerlich geklärt und mit neuer Kraft erfüllt, das zu ergreifen, was das Leben gerade für mich bereithält.

„Bitte vergessen Sie nicht, dass Sie in Ihrer Funktion als Pflegende ein Teil des Heilungsprozesses sind.“

Diese Inspiration, die übertragbar ist auf meine Zuwendung als Mutter, Partnerin, in der Arbeit und zu mir selbst, nehme ich gerne mit nach dieser ganz besonderen Begegnung mit Gerda Zölle, die mich tief berührt hat und noch lange nachwirkt.