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Lernen, zu fischen

Cigdem Cimrin entschied sich gegen eine lukrative Karriere als Wirtschaftsanwältin und dafür, für Schwächere einzustehen. Das erfordert viel Mut und Geduld – insbesondere als junge Frau in der Türkei.
Foto: Minerva

Cimrin arbeitete als promovierte Rechtsanwältin für Wirtschaftsunternehmen in der Türkei. Nach rund einem Jahrzehnt war ihr klar: Ihre Kraft und Expertise sollen sozial wirksam werden. Gemeinsam mit Pinar Kara, die ebenfalls als Wirtschaftsjuristin arbeitete und über Wirtschaft und Menschenrechte promovierte, gründete sie daraufhin Minerva – die erste Hilfsorganisation in der Türkei, die Menschenrechte im Unternehmenskontext fokussiert.

Cimrin reflektiert: „Ich wechselte sozusagen von der dunklen auf die helle Seite und begann, als Beraterin für Organisationen wie Save the Children, GIZ und die Welthungerhilfe zu arbeiten.“ Im Rahmen ihrer Doktorarbeit befasste sie sich umfassend mit der unternehmerischen Verantwortung in Bezug auf Menschenrechte. Dabei konzentrierte sie sich insbesondere auf die Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte und der Nachhaltigkeit. Sowohl theoretisch als auch praktisch war die couragierte Türkin bereit, eine herausfordernde Aufgabe anzutreten.

Ein starkes Team

Vor etwa zwei Jahren gründete Cimrin zusammen mit Kara die Hilfsorganisation Minerva, um direkt vor Ort gegen geschäftsbedingte Menschenrechtsverletzungen vorzugehen und verantwortungsbewusstes unternehmerisches Handeln in globalen Lieferketten, die bis in die Türkei reichen, zu fördern. „Wir können mit Stolz sagen, dass wir die erste NGO in der Türkei sind, die sich für die Rechte von Geflüchteten einsetzt und dabei wirtschaftliche, rechtliche und soziale Aspekte berücksichtigt. Als Frauen wissen wir, wie es sich anfühlt, unterdrückt zu werden – das spornt uns umso mehr an, uns für Benachteiligte einzusetzen.“

Cigdem Cimrin besucht ein Lager saisonaler Arbeitskräfte und befragt Frauen zu ihren Lebensbedingungen.
Foto: Minerva

Umfassende Gesetzesänderungen

Denn was leider noch bittere Realität ist: Viele Unternehmen prüfen nicht, ob bzw. wie die Menschenrechte innerhalb ihrer direkten und indirekten Lieferkette eingehalten werden. Um Missstände zu erkennen und zu beheben, werden Unternehmen in Deutschland mit dem neuen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) seit Anfang 2023 zur Verantwortung gezogen: Alle Unternehmen, die unter die Richtlinien fallen, sind dazu verpflichtet, ihre Lieferketten, auch die ihrer zuliefernden Firmen, auf Menschenrechtsverstöße oder Umweltrisiken zu überprüfen, und dazu, festgestellte Verstöße zukünftig zu verhindern und Risiken abzumildern. Das gilt auch für Geschäftsbeziehungen in Nicht-EU-Länder wie die Türkei. Kriege und Umweltkatastrophen haben den Arbeitsmarkt dort verändert. Sowohl Einheimische als auch Geflüchtete werden verschlimmerten Bedingungen ausgesetzt. Hier besteht großer Handlungsbedarf.

Synergien schaffen

Ganz konkret will Minerva als Bindeglied zwischen überwiegend europäischen Unternehmen und türkischen Partnern agieren. Vor Ort gibt es insbesondere strukturelle Herausforderungen: „Die Zivilgesellschaft in der Türkei ist leider noch lange nicht so stark entwickelt, wie es nötig wäre. Die meisten Organisationen müssen mit begrenzten Finanzmitteln auskommen“, so Cimrin. Hier knüpft Minerva an: „Wir wissen, dass wir nicht in allen Bereichen Experten sind. Aber wir können als Vermittler fungieren und auf das Fachwissen anderer Organisationen der Zivilgesellschaft zurückgreifen, um wirksame Projekte zur Bewältigung der mit der Lieferkette verbundenen Menschenrechts- und Umweltrisiken durchzuführen.“

Lernen, zu fischen

Hinsichtlich des Engagements europäischer Unternehmen ist Cimrin zurückhaltend: „Hier gibt es leider viel ‚social greenwashing‘. In den 70er Jahren haben einige Unternehmen angefangen, Freiwilligenprojekte zu starten. Meistens waren es ehrenamtliche Tätigkeiten, die den Leuten vor Ort nur kurzfristig etwas gebracht haben – wenn überhaupt.“ Metaphorisch gesprochen bringe es nichts, den Leuten Fisch zu geben. Sie müssten lernen, selber zu angeln. Eine wichtige Aufgabe für Minerva: Denn die Hilfsorganisation möchten dauerhaft etwas in der Region bewirken. Das LkSG als „Druckmittel“ kann hier helfen.

Cimrin besucht ein Schulprojekt für Kinder, deren Eltern bei der Haselnussernte mitarbeiten.
Foto: Minerva

Gemeinsam anpacken

Die naturamus, Rohstofflieferantin und Tochterunternehmen der WALA, setzt sich bei allen Anbaupartnerschaften für eine langfristige Zusammenarbeit ein. Auch in der Türkei: Hier wird wertvolles Rosenöl für die WALA produziert. Mit dem Rosenanbauer, der Familie Aydin, arbeitet die WALA seit 2014 zusammen. Damals unterstützte die naturamus den Familienbetrieb dabei, seine biologischen Flächen auf Demeter-Anbau umzustellen. Um dauerhaft bessere Arbeitsbedingungen für die Saisonkräfte vor Ort zu ermöglichen, hat das Tochterunternehmen der WALA reagiert und in den Jahren 2021–2022 den Austausch mit Minerva gesucht. „Ich möchte mich ganz herzlich für das Vertrauen bedanken. Wir sind immer noch eine sehr junge Organisation und solch eine Möglichkeit, zur Zusammenarbeit ist nicht selbstverständlich“, betont Cimrin.